Drei Bücher, die Sache mit dem Samariter und was bei Aschenputtel schief gelaufen ist.

Was war das mit dem Samariter?

Was ist bei Aschenputtel schief gelaufen und

drei Bücher, die zur Pflichtlektüre erhoben werden sollten.

 

Alle Gesellschaften hatten ihre Formen sich um Waisen und Findelkinder zu kümmern.

In Europa entstanden, vor allem nach dem 30-jährigen Krieg viele Waisenhäuser.*

Nun entbrannte im Zuge des Humanismus nach 1800 eine Diskussion über Misstände in diesen Anstalten, der als „Waisenhausstreit“ in die Geschichte einging.

Was war passiert?

In der Gesellschaft war ein neuer Begriff aufgetaucht: „Menschlichkeit“

Menschlichkeit als das, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Eine allgemeinen Menschenliebe und Impulse der christlichen Nächstenliebe im Sinne von Fürsorge und Unterstützung besonders von Schwachen und Hilfsbedürftigen.

Oliver Twist wird in dieser Zeit geschrieben. Gebärdensprache, Braille und Lormen erfahren eine große Verbreitung. Pestalozi wirkte in dieser Zeit.

Missstände in Waisenhäusern wurden angeprangert und eine Unterbringung in Familien gefordert. Die Kritik wurde so laut, dass die Anstalten geschlossen wurden (Wow!) !!). Nicht lange danach stellte man aber fest, dass auch in den Familien die Waisen hauptsächlich als Arbeitskraft behandelt wurden und sich an ihrer Situation nichts geändert hatte, dass sie weiterhin wie Aschenputtel lebten.

Aschenputtel?

Sie lebte in einer Familie, wie es auch im Waisenhausstreit gefordert worden war.

Aber keiner sah in ihr das kleine Mädchen auf der Suche nach Liebe und dem großen Glück, sondern sie wurde in die Küche abgeschoben.

Was ihr fehlte, waren Aufmerksamkeit, Zuneigung, das Recht auf Entwicklung und Freiraum! „Aschenputtel kann unmöglich die Braut sein!“

Beim Samariter läuft es genau anders herum. Der will eigentlich wo anders hin, aber da liegt einer, der nicht alleine weiterkommt, der unter die Räder gekommen ist, der in der Gosse gelandet ist und er unterbricht seinen Weg, wendet sich dem anderen zu und hilft ihm auf die Beine.

Wie finden wir in der Pädagogik den Weg vom Aschenputtel zum Samariter? Wie finden wir zu der inneren Haltung, dass wir den Kindern nicht nur einen guten Rahmen anbieten, sondern ihnen auch die innere Haltung entgegenbringen, die Aufmerksamkeit und Zuneigung, die ihnen Entwicklungsräume öffnet?

In den Schulen gibt es den “Gewaltlos-Koffer“ mit dem Kindern Empathie nahe gebracht und eine Kultur der Gewaltlosigkeit trainiert wird.

In der Unterstützten Kommunikation gibt es den UK-Koffer mit dem wichtigsten Hilfsmitteln für die Anbahnung einer aktiven Kommunikation.**

Ich möchte nun diesen UK Koffer um drei Bücher erweitern, die es uns ermöglichen, uns in Menschen hinein zu versetzten und mit ihnen zu fühlen, wie das ist, wenn man sich nicht, oder plötzlich nicht mehr mitteilen kann. Bücher, die auch hinter der Fassade einer Behinderung den Menschen deutlich machen und uns helfen, ihm Entwicklungsmöglichkeiten zuzubilligen und zu ermöglichen.:

Emanuell Laborit: Schrei der Möwe

Einen gehörlose junge Frau unserer Zeit (1994) beschreibt, wie es ihr ging, bevor sie lernte sich mit Gebärden mitzuteilen und wie die Möglichkeit differenziert zu Kommunizieren sie veränderte.

Julia Tavalaro: Bis auf den Grund des Ozeans

Eine junge Mutter fällt unvermittelt ins Koma und erwacht draus ohne jegliche Möglichkeit sich willentlich zu bewegen, aber bei vollem Bewusstsein.

6 Jahre vergehen bevor jemand entdeckt, dass sie die Augen willkürlich steuern und damit mühsam, aber sicher kommunizieren kann. Ihre erste Frage: Welches Jahr haben wir, wie alt sind meine Kinder….(1997)

Rosmary Crossley/ Anne McDonald: Annie, Licht hinter Mauern 

Anne lebt bis zu ihrem 18-ten Lebensjahr schwer behindert in einer Einrichtung in Australien und wird wie eine schwer geistig Behinderte behandelt, weil sie nicht sprechen kann.

Im Buch beschreibt sie 1984 ihren Kampf um Anerkennung ihrer unterstützten Kommunikationsform und Selbstbestimmung bis zum höchsten Gericht Australiens. Als sie das Heim schließlich verlässt, wächst sie mit 18 Jahren noch 40 cm!!!

Diese drei Bücher sollte jeder, der in die Sonderpädagogik einsteigt, gelesen haben. Sie sollte für jeden FSJ-ler und für jeden, der behinderte Kinder auch nur begleitet, zur Pflichtlektüre werden, damit egal welcher Rahmen gesetzt ist, er mit Empathie, Zuwendung und Leben gefüllt wird.

Wolfenbüttel, der 11.11.2018

*In Braunschweig wurde z. B. 1677 das „Armen-, Waysen-, Zucht- und Werkhaus“ gegründet.

** In der Unterstützten Kommunikation adaptieren wir alles, was den Kindern zu Aktivität verhelfen kann frei nach dem Motto, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Computer zum Kind kommen…